Agitu Ideo Gudeta muss vor acht Jahren aus politischen Gründen ihre Heimat verlassen. Sie hatte sich gegen Land Grabbing internationaler Konzerne engagiert. Die Flucht gelingt ihr in letzter Minute. Angekommen in Europa, fängt die studierte Soziologin wieder bei Null an. In Italien, das sie von ihrem Studium her schon kennt, findet sie ihre neue Aufgabe.
Die furchtlose, mutige und visionäre Frau beginnt im Trient Ziegen zu züchten und gründet eine eigene kleine Käserei. Sie lernte das Handwerk des Käsens neu, geht dafür sogar nach Frankreich, um von den Besten zu lernen. Für ihren Käse verwendet Agitu die Milch von Mochena-Ziegen, einer einst in den Südalpen verbreiteten Ziegenrasse, deren Bestand in den letzten Jahren aber dramatisch zurückgegangen war.
Inzwischen ist Agitu angekommen im Fersental. Sie hat sich mit viel Engagement, Cleverness und Können eine neue Existenz aufgebaut. Und nebenbei noch einem Tal wieder auf die Sprünge geholfen, das von Abwanderung und Lethargie gelähmt war. Eine Geschichte voll Inspiration auf verschiedensten Ebenen.
#alpinnensichten aus dem Alpsommer 2018, Alp Halten, Lauenen bei Gstaad // Photos by Annemarie Raemy
Jetzt ist wieder die Zeit, in der die Älplerinnen und Älpler auf den Berg ziehen. Einige sind schon oben, andere gehen noch. Und so verschieden jede Alp ist, allen gemeinsam ist eine Zeit in den Bergen, intensiv und streng, aber erfüllend. Was uns immer wieder erstaunt, ist die Ästhetik, welche dem Leben und Wirtschaften auf der Alp innewohnt. Ist es die Einfachheit, die Nähe zu Natur und Tieren, welche diese hervorruft? Oder werden wir durch die Reduktion auf das Wesentliche erst wieder empfänglich dafür?
Jedenfalls hat uns diese spezielle Ästhetik nicht nur zu unserer Ausstellung ALPSOMMER inspiriert, sondern uns auch dazu bewogen, ein neues, kleines {alpwerk}-Projekt zu lancieren. Wir möchten das Alpleben und dessen Vielfalt nicht aus der Aussenperspektive zeigen, sondern mit Eindrücken, die von innen kommen. Alpleben aus Sicht der Älplerinnen und Älpler. Bilder, Geschichten und Gedanken aus erster Hand, von den Sommerweiden. Innensichten, die das Leben und Arbeiten auf der Alp zeigen, direkt und ungefiltert. Mit dem Ziel, die Vielfalt dieser traditionellen Weidewirtschaft hoch oben in den Bergen zu zeigen – geografisch, aber auch bezüglich der Bewirtschaftung.
Diese #alpinnensichten möchten wir sammeln, mittels Tag, auf Instagram. Und wenn es gut kommt, entsteht nicht nur eine Sammlung von Bildern und Eindrücken von den verschiedensten Alpen, sondern auch ein Netzwerk von Menschen, die sich dieser halbnomadischen Lebensweise verschrieben haben.
zwischen himmel und erde – Sujet aus der Ausstellung ALPSOMMER // dave gerber photography, 2015
Ein Alpaufzug ist etwas Kulturelles, Heimatverbundenes. Trotzdem gilt ein Älpler, wenn er nicht aus der Bauernzunft stammt, in der heutigen Konsumgesellschaft auch ein wenig als Aussteiger. Er steht gewissermassen in der Tradition der Anachoreten, die bereits in vorchristlicher Zeit in unwegsame Gebiete flüchteten, um der Besteuerung oder der Wehrpflicht zu entgehen.
In der Tat gleicht das Leben eines Älplers mit seinem eintönigen Rhythmus noch heute vielerorts demjenigen eines Eremiten in seiner Klause. Von den Zwängen und Unzulänglichkeiten der modernen Arbeitswelt entrückt, lebt der Älpler noch weitgehend stressfrei im Einklang mit der Natur. Das natürliche Wachstum der Vegetation, die Verdauung der Tiere und die Aktivität der Käsebakterien geben den Takt vor.
Trotzdem macht die Moderne auch vor der Alp nicht halt. Anspruchsvollere Tierrassen, komplexere Melksysteme und immer strengere Hygienevorschriften stören die vermeintliche Idylle des Älplers. Weideführung, Maschinenunterhalt und Formulare dringen in die stressfreie Zone des Sömmerungsgebiets vor und stellen immer höhere Anforderungen an das Alppersonal.
Umgekehrt steigen auch die Ansprüche der so genannten Aussteiger an die Alpinfrastruktur. Klein fliessendes Wasser in der Hütte ist schon fast undenkbar. Warmwasser und eine Dusche wären doch auch noch schön. Und der Strom für die unvermeidlichen elektronischen Geräte darf natürlich auch nicht fehlen. So arbeiten sich wirtschaftliche Modernisierung und individuelle Ansprüche wunderbar gegenseitig in die Hände.
Ein Blick in die Geschichte lehrt uns, dass die Alp zeitweise immer schon ein Rückzugsort für unbequeme Freigeister war. Die Frage stellt sich, wie es angesichts der geschilderten Entwicklungen um die Zukunft der Spezies „Älpler“ bestellt ist. Muss er wie der Bauer auch zum Landwirt und Unternehmer werden bzw. gar zum Käser oder Milchtechnologen? Oder gibt es auf der Alp weiterhin Raum für Aussteiger?
Die Antwort muss notgedrungen offen bleiben. Trotzdem ist und bleibt die Alp ein besonderer Ort, allen Alpstrassen, Bergrestaurants und Schneekanonen zum Trotz. Sie liegt an Grenzlage zum so genannt unproduktiven Gebiet und wird immer besondere kulturelle Pionierleistungen erfordern. Aufgrund der saisonalen Nutzung macht es zudem wenig Sinn, urbane Standards auf die Alp zu projizieren.
Vielleicht liegt die Hoffnung ja im Begriff „Pionier“. Pioniere gelten ja zugleich als Vordenker und als Unternehmer. So muss ein geographischer Rückzugsort nicht zwingend ein Rückzug in die Rückständigkeit sein. Vielmehr könnten Älpler neue Entwicklungen anstossen und Vorbilder für eine postmoderne Zukunft sein.
Die Rolle der indigenen (einheimischen) Bevölkerung als Hüterin von traditionellem Wissen gewinnt an Anerkennung – zusammen mit ihrem Recht auf Land, das bereits ihren Vorfahren gehörte, und den Ressourcen die es beinhaltet. Die insgesamt 370 Millionen indigenen Menschen machen zwar nur fünf Prozent der Weltbevölkerung aus, besitzen aber 18 Prozent des Landes und erheben Anspruch auf weit mehr. Ihr Lebensraum ist auf 70 Länder verteilt, erstreckt sich von der Arktis bis zum Südpazifik und beherbergt viele der wichtigsten Biodiversitäts-Hotspots der Erde.
Indigenous peoples‘ knowledge of how to protect the delicate balance of natural resources for generations to come is finally being recognized. This vital knowledge stands equal to science in the role it must play if we are to take meaningful action world-wide towards the essential protection of our environment.
Das Wissen indigener Menschen um die natürlichen Ressourcen und wie sie für die nächsten Generationen geschützt werden können wird endlich anerkannt. Dieses Wissen ist dem der Wissenschaft ebenbürtig und muss dringend einbezogen werden, soll ein bedeutender Schritt für den Schutz unserer Umwelt getan werden.
Erik Solheim, Head of UN Environment
Die Rechte indigener Menschen werden nun in Dokumenten wie der UNITED NATIONS DECLARATION ON THE RIGHTS OF INDIGENOUS PEOPLE verankert und finden immer mehr Eingang in die Politiken von Regierungen und Strategien von Schutzorganisationen. In den letzten zehn Jahren konnte die Umsetzung der Deklaration auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene einige Erfolge feiern. Trotzdem gibt es weiterhin eine Lücke zwischen der formalen Anerkennung indigener Völker und der Umsetzung von Politiken und Strategien vor Ort.
Eines der gemäss „NATIONALEM GLÜCKSPRODUKT“ glücklichsten Länder der Welt will nun auch erstes Bioland der Welt werden: Bhutan. Bis 2020, so will es die Regierung, soll ganz Bhutan einen zertifizierten Öko-Status erreichen und vermarkten können. Und hat dazu ein staatliches Bio-Programm lanciert. Der kleine Himalaya-Staat zwischen China und Indien versorgt sich ausser mit Reis weitgehend selbst, obwohl nur in den fruchtbaren Tälern auf drei Prozent der Fläche Ackerbau möglich ist. 80% des Landes sind bewaldet.
Schon jetzt bewirtschaften die meisten Bauern ihre Felder mit traditionellen ökologischen Anbaumethoden. Aus Überzeugung, aber häufig auch, weil Chemikalien zu teuer oder in entlegenen Bergdörfern gar nicht verfügbar sind. Nun soll der Verkauf von Schädlings- und Unkrautvernichtungsmitteln sowie Chemie-Dünger ganz verboten werden. Mit neuen Anbaumethoden und der Auswahl traditioneller Pflanzensorten, die widerstandsfähiger gegen Schädlinge sind, könnten die Erträge nicht nur gehalten, sondern sogar gesteigert werden, so die Regierung.
„Dass wir die Wahl hätten, auf biologische Landwirtschaft umzustellen ist ein weltweit verbreiteter Mythos. Aus Sicht der Ernährungssicherheit haben wir keine andere Wahl, sondern es ist eine Frage des Überlebens.“
2012, damaliger Premierminister Bhutans, Jigmi Thinley, beim UN-Nachhaltigkeitsgipfel Rio+20
Gleichzeitig soll ein Ausweg aus der mühsamen Konkurrenz mit der industriellen Landwirtschaft im Nachbarland Indien gefunden werden. Der Wachstumsmarkt Öko-Landwirtschaft soll den Bauern neue, andere Exportmöglichkeiten eröffnen.